Dokumente aus laufenden Strafverfahren darf man in Deutschland eigentlich nicht veröffentlichen. Doch es gibt Dokumente, die gehören an die Öffentlichkeit.

Kaum eine aktivistische Initiative erhitzte in den vergangenen Jahrzehnten die deutschen Gemüter so sehr wie die „Letzte Generation“. Ihre Aktionen und Straßenblockaden sollen die Bundesregierung zum Kampf gegen die Klimakatastrophe animieren, riefen bundesweit aber vor allem zahlreiche Schmerzgriffe, Taliban-Vergleiche und allerlei Selbstjustiz hervor.

Im Mai ließ die Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnungen und Aufenthaltsorte von sieben Menschen der „Letzen Generation“ durchsuchen. Polizistinnen trugen Computer und Telefone aus den Zimmern, beschlagnahmten Bankkonten und die Website. Auch die Telefonate der „Letzten Generation“ mit Journalistinnen ließ die Generalstaatsanwaltschaft München monatelang abhören.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: „Die letzte Generation“ habe eine kriminelle Vereinigung gebildet, strafbar mit bis zu fünf Jahren Gefängnis.

Wie begründet ein Gericht diese Maßnahmen? Das ist eine wichtige Frage. Sie sollte öffentlich diskutiert und bewertet werden. Doch so einen Gerichtsbeschluss zu veröffentlichen, ist eigentlich gegen das Gesetz. Ich mache es trotzdem.

Hier veröffentliche ich erstmals die Beschlüsse des Münchner Amtsgerichts zu den Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Abhörmaßnahmen gegen die „Letzte Generation“. In diesen Dokumenten sieht man: Grundrechte wie die Pressefreiheit hat das Gericht gar nicht geprüft, als es beschloss, dass die Aktivist*innen durchsucht und abgehört werden dürfen.

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Ursprünglich sollte die Abhörmaßnahme Ende Januar 2023 auslaufen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste dem Ermittlungsrichter klar gewesen sein, wie unverhältnismäßig die Überwachung ist. Denn die Kriminalpolizei schrieb in einem internen Vermerk am 9. Januar, der mir vorliegt, den ich aber aus Quellenschutzgründen nicht veröffentlichen kann: „Auf dem Anschluss gehen fast ausschließlich Anfragen von Medienvertretern, Studenten und Schülern ein, die um eine Presseauskunft oder ein Interview bitten.“ Weiter heißt es darin: „Durch die Telekommunikationsüberwachung zeigt sich jedoch auch, dass die tatsächlichen Anschlussnutzer für den örtlichen Raum Berlin Pressevertreter über Aktionen in Kenntnis setzen und auch durch Aktivisten über Aktionen informiert werden. Das Verhalten der tatsächlichen Anschlussnutzer zeigt, dass diese bereits vorab von anderen Personen in Kenntnis gesetzt werden und beweist somit den Organisationsgrad der Letzten Generation.“

Der zentrale Satz folgt darauf: „Erkenntnisse über bevorstehende Aktionen, welche nicht bereits durch Pressemitteilungen oder -Konferenzen veröffentlicht wurden, konnten ihm (sic!) Rahmen der Überwachung nicht festgestellt werden.“

Das bedeutet: Der Ermittlungsrichter wusste möglicherweise schon im Oktober 2022, aber allerspätestens im Januar 2023, dass Journalist*innen überwacht werden und dies noch nicht einmal einen Mehrwert für die Ermittlungen bedeutet. Trotzdem verlängerte das Gericht die Abhörmaßnahmen daraufhin um weitere Monate. Nähere Angaben dazu machte die Münchner Generalstaatsanwaltschaft auch auf Anfrage nicht. Sie verweist auf die laufenden Ermittlungen und ihre Pressemitteilung, nach der die Maßnahmen verhältnismäßig gewesen seien. Inzwischen wurde die Überwachung nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft eingestellt.

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Der bayerische Ermittlungseifer könnte vor allem politisch motiviert sein. Der Ermittlungsrichter schreibt in den Beschlüssen in Bezug auf eine Aktion, dass Politiker eine strafrechtliche Ahndung gefordert hätten. Offenbar vermutet das Münchner Amtsgericht hinter der „Letzten Generation“ linke Aktivistinnen. So steht im Durchsuchungsbeschluss, die Polizeibeamtinnen sollten u.a. nach Gegenständen, Unterlagen und Dateien suchen, „die Aufschluss über links-radikales verfassungswidriges Gedankengut“ der Beschuldigten geben.

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Ob die Liste allerdings tatsächlich und ausschließlich Straftaten enthält, ist völlig offen. Bisher streiten Gerichte und Rechtswissenschaft darüber, ob etwa die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ als ziviler Ungehorsam überhaupt strafrechtlich relevant sind. Aktenzeichen von abgeschlossenen Gerichtsverfahren enthält die Liste der Aktionen in den Beschlüssen nicht, konkrete Straftatbestände auch nicht. Daraus zu schließen, dass die „Letzte Generation“ künftig Straftaten von einigem Gewicht bezwecke, dürfte äußerst umstritten sein.

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Das Amtsgericht München wirft der „Letzten Generation“ im Durchsuchungsbeschluss sogar vor, dass sie selbst zum Opfer von Selbstjustiz werden, wenn „geschädigte Autofahrer Aktivisten der Letzten Generation körperlich oder sogar mit dem PKW angreifen“. Dies nähmen „die Mitglieder der Letzten Generation zumindest billigend in Kauf“, heißt es in den Beschlüssen. Die Straftaten gegen die „Letzte Generation“ werden den Opfern zugerechnet.

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Zur Abschreckung trug maßgeblich bei, dass die Polizei nach der Beschlagnahmung der „Letzte Generation“-Website dort meldete, die Initiative sei eine „kriminelle Vereinigung“ und Spenden an sie sei „mithin ein strafbares Unterstützen“. Das war offensichtlich rechtswidrig, die Polizei musste die Formulierung ändern.

Zudem dürfte es besonders einschüchtern, dass die Justiz nicht nur wegen der Bildung, sondern auch wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt: Das ist zum einen gegen das Betreiben der Website gerichtet, zielt zum anderen aber vor allem auf das Geld der „Letzten Generation“ ab. Denn die Durchsuchung beim gemeinnützigen Verein, der das Spendenkonto für die Initiative führte, schüchtert bis heute offenbar institutionelle Geldgeber*innen der „Letzten Generation“ ein. Viele unterstützen die Ziele der Initiative, aber haben Angst vor dem harten Durchgreifen der Justiz.

Ob deren Maßnahmen verhältnismäßig waren oder eher ein politisches Manöver, kann nicht nur nach jahrelangen Verfahren von Gerichten entschieden werden, zumal die Verfahren nach § 129 StGB häufig besonders lange dauern. Es muss jetzt öffentlich diskutiert werden. Denn jetzt entfalten die Maßnahmen ihre durchgreifende Wirkung in Teilen der Bevölkerung. Deswegen sind die Beschlüsse der bayerischen Justiz jetzt hier transparent einsehbar.

  •  EddyBot   ( @EddyBot@feddit.de ) 
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    fedilink
    Deutsch
    221 year ago

    Das Amtsgericht München wirft der „Letzten Generation“ im Durchsuchungsbeschluss sogar vor, dass sie selbst zum Opfer von Selbstjustiz werden, wenn „geschädigte Autofahrer Aktivisten der Letzten Generation körperlich oder sogar mit dem PKW angreifen“. Dies nähmen „die Mitglieder der Letzten Generation zumindest billigend in Kauf“, heißt es in den Beschlüssen. Die Straftaten gegen die „Letzte Generation“ werden den Opfern zugerechnet.

    aha alles klar Täter-Opfer Umkehr ist legitim wenn ein Autofahrer ein paar Minuten stehen muss